pere faura
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  Foreign Affairs 2013_Interview Pere Faura

This interview was made on the occasion of the Berlin premiere of "striptease" and "bomberos con grandes mangueras" at Foreign Affairs 2013 / Berliner Festspiele, July 2013

Foreign Affairs
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„Verführung passiert auf unterschiedlichen Wegen“

Der spanische Tänzer und Choreograf Pere Faura über den Unterschied zwischen Kunst und Pornographie, das Enthüllungspotential von Theorie und die veränderten Arbeitsbedingungen in Spanien

Pere Faura, wann haben Sie zuletzt einen Striptease gesehen?

Ich habe zuletzt einen wirklich blöden Striptease in einer Schwulendisco gesehen. Komischerweise sind männliche Stripper meistens viel langweiliger als weibliche.

Worin liegt der Unterschied?

Frauen machen das sehr virtuos, tanzen an der Stange, sind fantastisch geschminkt und haben Kostüme mit Tausenden von Reißverschlüssen. Bei den Männern dreht sich alles um Größe, oft fehlen den Strippern jegliches Rhythmusgefühl, es geht nur darum, schnell die Klamotten auszuziehen und einen großen Schwanz zu zeigen. Das ist Männerstriptease. Für meine Show habe ich mich deshalb von den Frauen inspirieren lassen.

Was ist am Striptease so interessant?

Mich interessiert die Frage nach der Balance oder der Grenze zwischen Sex und Kunst. Warum macht einen eine ästhetische Erfahrung an, die wir Kunst nennen würden? Und natürlich geht es um den Körper und den Körper in Bewegung: Ich komme vom Tanz, der per se oft erotisch ist und eine lange erotische Geschichte hat, und im zeitgenössischen Tanz sind die Tänzer ohnehin dauernd nackt. Mit „striptease“ gehe ich einer Frage nach, die mich schon länger fasziniert: Worin liegt der Unterschied zwischen Sex und Kunst? Wie nimmt man einen sich bewegenden Körper wahr, der sich nackt auszieht – als künstlerische Erfahrung oder als etwas, das einen anmacht?

Ist „striptease“ ein Theaterstück, ein Tanzstück, ein Stripstück oder etwas für den Kopf, eine Art intellektuelle Pornografie…?

Ich habe beschlossen, mich als Künstler nicht mehr um diese Frage zu kümmern. Ich komme vom Tanz, aber nutze in meiner Arbeit auch Text und habe viel im Theater und mit Musik gearbeitet. Ich versuche, einen Raum für unterschiedliche Dinge zu schaffen, für Affekt und Reflektion, Gefühl und Information. Während meines Tanzstudiums in Amsterdam kam gerade der sogenannte konzeptionelle Tanz auf, wir haben viele theoretische Diskussionen geführt, und das hat mich wirklich angemacht. Eine Theorie ist wie ein Striptease, sie enthüllt etwas, das man vorher nicht gesehen hat. Und auch beim Sex geht es um das Entdecken, plötzlich entdeckt man den Körper einer anderen Person, eine bisher unbekannte Lust, die eigenen Reaktionen… Das ist, als würde man zum ersten Mal Deleuze lesen, der so viel über Empfindung und Affekt schreibt … Ja, ich verbinde diese beiden Dinge gerne.

Welche Art von Reflektion würden Sie sich beim Publikum wünschen?

Ich finde das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Kollektiv interessant, den Unterschied zwischen privat und öffentlich. Zu einem Striptease geht man allein, ins Theater als Gruppe, das ist eine kollektive Erfahrung, wir teilen Raum und Zeit miteinander.

Was war die anregendste Performance, die Sie im Theater gesehen haben?

Ich habe ein Video von diesem Typen gesehen, der zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ masturbiert hat und immer im gleichen Moment gekommen ist – zwischen ihm und dem Publikum ist eine Glasscheibe, und der Frühling ist die Masturbation und der Herbst der Samen, der herunterläuft. „bomberos“ geht der Frage nach, wie wir mit Sex und Pornografie und Theater umgehen. Der Unterschied liegt in der Fantasie: Im Theater geht es um Fantasie, in der Pornografie um das Gegenteil, um konkrete, entblößte Körper, alles wird in Nahaufnahme gezeigt. Für Fantasie ist hier kein Platz, alles liegt direkt vor einem. Meine Idee für „bomberos“ war: Wie kann ich Fantasie in einen pornografischen Kontext bringen oder mit pornografischen Bildern umgehen…

Woher kamen die Ideen für diese beiden Stücke?

Im zweiten Jahr meines Masterstudiengangs Choreografie in Amsterdam habe ich mich mit Pornografie als choreografisches Mittel befasst und viel über Pornografie und Fantasie gelesen. Dann auch Bücher über Striptease, ich war überrascht, wie viel Theorie es über diese einfachste und gewöhnlichste Sache der Welt gibt. Jeder weiß, was ein Striptease ist, wir alle haben „9½ Wochen“ gesehen, wir haben Demi Moore gesehen, und plötzlich tauchten da all diese Theorien über Genderfragen, Performancefragen, Tanzfragen, Gesellschaftspolitik auf, was mich sehr überrascht hat, deswegen wurde daraus diese akademische Performance.

Bei Ihren Stücken kommt mir das Wort „Transparenz“ in den Sinn… sie enthüllen viel, die Dynamiken des Körpers, des Theaters, der Bühne…

Als ich vor circa zehn Jahren angefangen habe, wollten alle die Black Box abschaffen und daraus eine White Box machen. Die Maschinerie des Theaters sollte sichtbar werden. Man wollte keine Illusionen mehr erzeugen, die – wie der dreisekündige Schock bei einem Horrorfilm – nur einen kurzen Effekt auslösen. Die Frage war, wie man eine ästhetische Erfahrung provozieren kann, wenn alles offen daliegt, wenn der Trick und die Maschinerie für alle klar erkennbar sind. Dann geht es nicht mehr darum, eine Illusion zu erzeugen, sondern um das, was die Sache selber in einem auslöst. Und die Offenlegung des Theatermechanismus hat natürlich auch mit Striptease zu tun.

Was ist das Realste, das auf der Bühne passieren kann? Etwas, das sich ganz auf die Realität bezieht und nicht mehr auf das Theater…

Das hat mit Sex zu tun. Wenn ein Schauspieler auf der Bühne weint, fühlt sich das für mich real an, aber es ist eine Technik. Mit Sex ist es das Gleiche, es gibt Männer, die können auf der Bühne vor Hunderten von Zuschauern einen Ständer kriegen, also ist das auch eine Technik. Ich glaube, jeder setzt seine eigenen Grenzen – für einige Leute ist Sex auf der Bühne real, für andere völlig inszeniert. Beim Tanz wird einem beigebracht, dass man nicht eine Figur repräsentiert, man präsentiert einen Körper oder eine Bewegung oder eine Art, auf der Bühne zu stehen. Beim Tanz geht es immer um Wirklichkeit, und das hat mich irgendwann genervt, weil ich Wirklichkeit ganz leicht erzeugen kann… Ich weiß nicht mehr, was auf der Bühne real ist und was nicht, und vielleicht ist es mir auch egal. Das, was für den Schauspieler in einer Vorstellung eine großartige Erfahrung war, kann den Zuschauern total aufgesetzt vorgekommen sein.

Ein Freund von mir hat in Berlin eine Inszenierung von Bob Wilson gesehen, bei der plötzlich eine Fliege auf die Bühne flog und die Schauspieler verrückt gemacht hat. Sie hat die ganze Szene gestört, es war immer noch Theater, aber plötzlich war die Realität hereingebrochen.

Ich hatte bei einer Open Air-Performance ein ähnliches Erlebnis, als eine Katze auf die Bühne lief. Zum Glück kann ich in meinen Shows machen, was ich will, also bin ich um die Katze herumgetanzt – und ich habe eine Katzenallergie. Aber bei einer durchchoreografierten Wilson-Inszenierung bringt eine Fliege auf der Bühne natürlich alles durcheinander und keiner weiß, was er jetzt tun soll… Ich baue gerne Unvorhergesehenes ein und versuche, darauf zu reagieren. Normalerweise ignoriert man so etwas oder hält an. Es sollte eine dritte Option geben, bei der man das Problem in das Bühnengeschehen integriert, so dass es gar nicht erst zum Problem wird, sondern zu einer Herausforderung.

Macht es einen Unterschied, alleine auf der Bühne zu sein? Sie zeigen in Berlin zwei Solostücke. Gibt es dafür einen Grund?

Ich habe viel allein gearbeitet, viele Solostücke gemacht. Es geht schneller, weil der Weg zwischen meinen Ideen als Choreograf und meinem Körper als Tänzer kürzer ist. Die Einsamkeit auf der Bühne, die Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit haben etwas Schönes, besonders, wenn man Striptease oder Porno zeigt. Auch ein Stripper steht der Menge fast immer alleine gegenüber.

Man ist der Situation ausgeliefert – allein in einer Situation, in der man sich nicht verstecken kann…

Allein zu arbeiten hat auch mit Erotik und Pornografie zu tun. Dann bleibt nur noch das Publikum, das man erotisieren und anmachen kann. Wenn ich mit jemand anderem zum Thema Sex arbeite, wird daraus eher eine Repräsentation, weil ich und die andere Person zeigen, wie wir Sex haben oder einander erotisieren, wie wir uns begegnen, wie wir den anderen anmachen… Alleine bleibt mir dafür nur das Publikum, das ist eine andere Dimension als Repräsentation. Wenn also Sex mein Thema ist, bin ich lieber allein.

Hat sich Ihre Arbeit seit dem ersten Stück „this is a picture of a person I don’t know“ verändert?

Meine Arbeit hat sich dahingehend verändert, dass ich versuche, rauer zu sein. Als ich mit dem Tanzstudium in Amsterdam fertig war, wollte ich dem Publikum immer gefallen. „this is a picture of a person I don’t know“ ist ein sehr freundliches, schönes, jungenhaftes und gut gearbeitetes Stück.

Worum ging es da?

Um Einsamkeit und Erinnerung, darum, dass man sich, wenn man sich allein fühlt, an die Zeiten erinnert, als man nicht einsam war – für mich hatte das mit Musicals zu tun. Ich habe mit Musicals angefangen, in „Fame“ und „A Chorus Line“ getanzt, und als ich mit der Ausbildung in Amsterdam fertig war, fand ich den zeitgenössischen Tanz irgendwie Scheiße und vermisste die Musicals und den Showtanz. Also habe ich ein Stück über „Singing in the Rain“ and „A Chorus Line“ gemacht. Und dann kam „striptease“, in dem es um einen anderen Aspekt der Popkultur in Musicals geht. Allmählich habe ich eingesehen, dass nicht gemocht zu werden nicht bedeutet, dass man nicht verführerisch sein kann. Verführung passiert auf unterschiedlichen Wegen, und gerade die Unbeholfenheit, die Ecken und Kanten in „bomberos“ erregen Aufmerksamkeit. Das ist der Punkt, an dem ich jetzt bin: Ich will nicht immer nett sein, sondern provoziere auch Befremdung und Fragen, so dass sich mir das Publikum auf dieser anderen Ebene nähern kann; aber es nähert sich mir ganz genauso – das ist einfach ein subtileres und fragileres Verständnis von Verführung.

Welche Art Geheimnis würden Sie enthüllen…

Für mich geht es ums Flirten, ich verstehe Theater als One-night-stand. Ich bin hier und will euch verführen, wir erleben etwas miteinander, und dann geht ihr. Ich betrinke mich im Laufe der Show, und dieses Besoffensein auf der Bühne ist eine besondere Art von Tanz. Das ist wie im Berghain zu feiern: man geht durch verschiedene Phasen, ist irgendwann nur noch betrunken und müde, und dieses Fertigsein finde ich sehr schön, das passiert auch in „bomberos“…

Ist Ihre Arbeit politisch? Die Verbindung zwischen Menschen, die wir in der Gesellschaft nicht hinbekommen,, versuchen Sie die im Theater herzustellen?

In Spanien ist das im Moment die Frage überhaupt. Ja, ich halte meine Arbeit für politisch. Aber zuerst müssen wir über den Begriff politisch sprechen. Für mich ist das Politische kein Pamphlet. Es geht nicht darum, politische Ideen direkt zu äußern. Meine Show ist Pornografie, so einfach ist das. Aber sie ist in dem Sinne politisch, dass sie hinterfragt, wie wir einen Körper wahrnehmen, wie der Körper repräsentiert wird, was er repräsentiert – Sexualität, Religion, Gender. Politisch ist meine Beziehung zum Publikum, welche Beziehung ich als Individuum zum Kollektiv habe, zu dem, was öffentlich und was privat ist.

Welche Fragen stellen die Menschen in Spanien im Moment? Unter welchen Bedingungen arbeitet man im Kunstbereich?

Natürlich herrscht eine große Krise, und es ist kein Ende abzusehen. Es wird immer schlimmer. Sechs Millionen Arbeitslose, was will man da mit Kunst? Wir Künstler wissen natürlich, warum Kultur wichtig ist, aber die Gesellschaft stellt die Bedeutung infrage: Ich will essen, was hat Priorität? Das Gute daran ist, dass wir neue Arbeitsweisen erfinden. Die Subventionen sind weg, daher muss ich meinen Lebensunterhalt anders verdienen oder mir überlegen, wie ich von meiner Kunst leben könnte. Das heißt, meine Kunst muss sich verändern. Vielleicht muss ich bei Leuten zuhause auftreten, vielleicht muss ich kleinere Projekte machen, die leichter auf Tour gehen können. Wenn man jetzt etwas auf die Bühne bringen will, muss es dafür eine echte Notwendigkeit geben, und wenn es allen Schwierigkeiten zum Trotz klappt, steht man hundertprozentig dahinter. Das heutzutage in Barcelona zu sehen, ist auch schön.

Ist diese Arbeitsweise eine neue Erfahrung?

Als ich vor zwei Jahren aus Amsterdam kam, hatte ich den Antrieb verloren. Ich befand mich auf einer Art produktiver Achterbahnfahrt, musste jedes Jahr ein neues Stück herausbringen, das ebenso gut und verkäuflich und tourbar war wie das letzte. Ich wusste noch nicht, dass ich mein eigener Boss sein muss, dass ich die richtigen Bedingungen für meine Arbeit schaffen muss, nicht umgekehrt. In Holland kam viel Geld von oben, es hieß, wir geben dir 50.000 Euro, wenn du im Mai ein Stück über das-und-das an dem-und-dem Ort machst. Und dann zermartert man sich den Kopf und versucht, seine ganze Kreativität, Neugier, sein Interesse und künstlerisches Vokabular an diese Situation anzupassen. Ich mag Auftragsarbeiten, habe viele gemacht und kann damit umgehen, aber nicht ständig. In Holland habe ich meinen Weg aus den Augen verloren und hatte irgendwann das Gefühl, dass der Überfluss an Ressourcen mir den inneren Antrieb nahm. In Barcelona ist es das Gegenteil.

Allerdings gibt es jetzt auch in Holland heftige Kürzungen.

Ja, ich bin gerade dort weg, als das anfing. Aber ich bin nicht wegen der Kürzungen gegangen. Wir Künstler sind die meiste Zeit in einer Krise, immer auf der Suche nach Jobs, ohne feste Arbeit, natürlich habe ich mein Netzwerk und bekomme manchmal Angebote, manchmal aber auch Absagen. Wenn ich ein Projekt machen will, putze ich Klinken – daran bin ich gewöhnt. Aber in Spanien hieß es immer, du studierst für eine Karriere, bekommst einen Job und verdienst genug Geld, um eine Familie zu gründen, ein Haus zu kaufen, einen Hund und ein Auto. Und plötzlich ist es damit vorbei. Dann stehen die Menschen unter Schock, weil sie nicht wissen, wie sie einen Job bekommen, wie sie nach Arbeit suchen, wie sie die Krise bewältigen sollen. Als Künstler sind wir da einen Schritt voraus, weil wir besser vorbereitet sind.

Was wollen Sie als nächstes machen?

Ich habe in letzter Zeit gemerkt, dass mir kleine Projekte gefallen, die ich mit wenig Geld machen kann. Und ich träume davon, eine Oper zu inszenieren, ich möchte mit der großen Maschinerie arbeiten. Weil ich vom Musical komme. Außerdem habe ich auch Musik studiert, Gesang und Flöte. Klassische Musik und Oper sind so kompakt, so hierarchisch, an erster Stelle kommt der Gesang, dann das Schauspiel, dann der Tanz, und das würde ich gerne ändern.

Wenn es um die Definition von kultureller Identität geht, nennen die Leute meistens Aspekte aus der sogenannten Hochkultur. Sie dagegen beziehen sich auf die „westliche“ Popkultur...

Ich finde, ein Verständnis für Popkultur ist ein weiteres Werkzeug für das Schaffen von Hochkultur oder Kunst. Das ist durchaus politisch, denn ich gehe davon aus, dass ihr Motherfuckers, die ihr zwanzig Euro für ein Tanzstück hinlegt, auch alle schon mal einen Striptease oder einen Porno gesehen habt, oder „Singing in the Rain“ oder die strippende Demi Moore. So entstehen gemeinsame Erfahrungen, wir teilen dieselben Referenzpunkte miteinander, die Teil des kollektiven Gedächtnisses sind und Kunst zugänglicher machen.

 

Das Gespräch mit Pere Faura führten Anne Phillips-Krug und Cornelius Puschke.
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn/Transfiction